Sustainable Finance und Bundesrat: Prädikat ungenügend

Fachliche Einordnung durch die Klima-Allianz, Stand heute

 

Diese Position der Klima-Allianz als PDF: Download

Die EU geht voran mit Gesetzen für die nachhaltige und klimaverträgliche Umlenkung der Finanzflüsse. Doch der Bundesrat setzt weiterhin auf das freiwillige Einschwenken der Finanzmarktteilnehmer auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens. 

Wir geben eine Übersicht und stellen unsere Forderungen vor.

Wo steht die EU?

  • Strategie: In Umsetzung des Action Plan on Sustainable Finance konzipierte die EU eine Vielzahl von mehrheitlich synchron, zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmten Gesetzesinitiativen. Diese werden weiterentwickelt und sind geeignet, sich gegenseitig zu verstärken. Nicht nur die Finanzakteure, sondern mit dem EU Green Deal sind auch die Unternehmen der Realwirtschaft eingebunden. Das Gesamtpaket sichert die Umsetzbarkeit durch die Finanzdienstleister und den Erfolg sowohl hinsichtlich Klimawirkung in der Realwirtschaft als auch für die Anhebung der Konkurrenzfähigkeit der EU-Finanzmärkte. Mit neuen Klima-Offenlegungsrichtlinien auch für die Realwirtschaft soll erwirkt werden, dass die Unternehmen die unerlässlichen Klimadaten publizieren und Informationen zu ihrer wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit im Lichte der Energie- und Klimawende zur Verfügung stellen.
  • Die EU-Strategie weist sämtlichen Sektoren der Finanzmärkte eine Hebelwirkung und somit regulatorischen Handlungsbedarf zu. Nicht nur die Finanzprodukte und die privaten Investitionen, sondern auch diejenigen der Privatversicherungen sowie der institutionellen und öffentlichen Investitionen (insbesondere diejenigen der beruflichen Vorsorge) werden umfassend als Handlungsträger einbezogen. Sowohl die Asset Manager als auch die institutionellen Asset Owner (private und öffentliche Versicherer, betriebliche Vorsorge) werden dem Gesamtpaket des Regelwerks und seiner zukünftigen Weiterentwicklung verpflichtet.
  • Die erste regulatorische Handlungsachse der EU war schon vor dem besagten Action Plan on Sustainable Finance die Richtlinie von 2016, die neue nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten der Einrichtungen der beruflichen Vorsorge festlegte. Pensionskassen werden durch die EU genauso als Teil des Finanzmarktes betrachtet und unterliegen denselben Sustainable Finance Bestimmungen wie die übrigen Finanzmarktteilnehmer.
  • Transparenz: Banken, Pensionskassen und die weiteren Finanzakteure der EU müssen ihre Strategien zur grünen Ausrichtung ihrer Investitionen offenlegen. Mit diesem Schritt wird die Finanzwirtschaft der EU verpflichtet, die sich abzeichnenden Wertverluste auf den Investitionen in Unternehmen der fossilen Wirtschaft zu vermeiden. Des Weiteren verlangt die EU explizit die Verminderung der negativen Wirkungen ihrer Investitionen auf Klima, Umwelt und soziale Gerechtigkeit. Ziele sind sowohl der Schutz der Kund*innen und Versicherten vor Klimarisiken wie auch die Klimawirksamkeit und Nachhaltigkeit der Geldflüsse.
  • Mit der Taxonomie-Verordnung wird unterstützend zur Offenlegungspflicht im Einzelnen definiert, welche Wirtschaftsaktivitäten nachhaltig sind. So wird das weitverbreitete “Greenwashing” durch Banken, Pensionskassen und anderen Finanzakteuren vermieden, und es ist klar, welche Unternehmen der Realwirtschaft einer Finanzierung zum Erfolg der Energie- und Klimawende würdig sind.  

Wo steht der Bundesrat?

  • Der Bundesrat sieht grosse Chancen für einen nachhaltigen Finanzplatz Schweiz. Es sollen Rahmenbedingungen gestaltet werden, die sichern, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes stetig verbessert wird und dieser gleichzeitig einen effektiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten kann.
  • Bis im Herbst 2021 soll das zuständige Sekretariat für Internationale Finanzfragen SIF, bei Bedarf dem Bundesrat Anpassungen im Finanzmarktrecht vorschlagen, welche das sogenannte Greenwashing, also das Vortäuschen nachhaltiger Geschäftstätigkeit im Umweltbereich, verhindern. Dabei sei die internationale Entwicklung, insbesondere in der EU, zu berücksichtigen, damit Schweizer Finanzprodukte exportfähig bleiben.
  • Der Bundesrat empfiehlt den Finanzmarktakteuren, Methoden und Strategien zu veröffentlichen, wie sie – entsprechend den bestehenden rechtlichen Treue- und Sorgfaltspflichten – Klima- und Umweltrisiken bei der Verwaltung von Vermögen ihrer Kundschaft berücksichtigen. Das SIF informiert den Bundesrat bis Ende 2022, ob und wie diese Empfehlung befolgt wird. 

Die Position der Klimaallianz:

  • Während die EU bei der klimaverträglichen Umlenkung der Finanzanlagen durch Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter und Pensionskassen mit wirksamen Vorschriften vorangeht, verengt die Schweiz den Fokus auf die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit zur Befriedigung einer möglichen Marktnachfrage nach nachhaltigen Investitionen. Eine Klimastrategie mit Bekenntnis zu konkreten Klima- und Nachhaltigkeitszielen der Finanzmarktteilnehmer fehlt. Damit vergibt sich der Bundesrat, dass der Finanzsektor seinen essentiellen Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele leistet. 
  • Es fehlt der Wille, einerseits die Schaffung eines ganzheitlich nachhaltigen Finanzwesens anzupacken und andererseits die Realwirtschaft der Schweiz mit einem System koordinierter Handlungsachsen ähnlich wie der EU Green Deal umzusteuern. 
  • Die Chance, auch im Inland der Finanzwirtschaft neue Geschäftsfelder zu eröffnen, sollte ergriffen werden. Insbesondere den inländischen Finanzdienstleistern stünden neue grüne Opportunitäten im Rahmen einer entsprechend nachhaltigen, holistisch angelegten Transformation hin zu einer ressourceneffizienten und sozial gerechten Schweizer Wirtschaft mit Ziel Netto-Null Treibhausgasemissionen vor 2050 und ressourcenarmer Kreislaufwirtschaft offen.
  • Wie beim EU Action Plan on Sustainable Finance sollte auch die Klima- und Nachhaltigkeitswirkung einbezogen werden. Sie ist zu messen an den Zielen des Pariser Klimaabkommens und der UN Sustainable Development Goals (UN SDG’s). 
  • Es sollte rechtlich klargestellt werden, dass die treuhänderische Sorgfaltspflicht das Management der Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken beinhaltet. Eine entsprechende Klärung und Ausweitung der treuhänderischen Pflichten analog zum EU-Recht würde für Finanzdienstleister, private und institutionelle Investoren einen wichtigen Anreiz schaffen, die nachhaltigkeits-/klimabezogene Wirkung ihrer Finanzprodukte systematisch zu evaluieren und zu integrieren. Dies trifft insbesondere auch für die Privatversicherer und die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (inklusive der öffentlichen Vorsorge wie Suva und AHV) zu.
  • Falls die Gestaltung eines ganzheitlich nachhaltigen Finanzsystems ausbleibt und bei anhaltender Politik des «Laissez-faire» im Bereich der Realwirtschaft besteht die Gefahr, dass die Schweiz und die EU mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fortschreiten. Dem Schweizer Finanzplatz könnte mangels strategischer Gesamtsicht Wettbewerbsnachteile erwachsen. Das Ziel, ein führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen im In- und Ausland zu werden, würde verfehlt.

Zusammengefasst:

  • Es reicht nicht, nur zu erleichtern, dass der Schweizer Finanzsektor neue grüne Opportunitäten valorisiert. Erstens müssen die schädlichen Klima- und Nachhaltigkeitsauswirkungen mit gleichem Einsatz regulatorisch angegangen werden. Zweitens ist wie im EU-Regelwerk der Finanzmarkt mit seinen Finanzflüssen als Gesamteinheit zu betrachten. Die Ziele der Stützung der Wettbewerbsfähigkeit durch Wahrnehmung nachhaltiger Investitionschancen einerseits, sowie der wirksamen Umlenkung der Finanzflüsse gemäss Pariser Klimaabkommen und UN-Sustainable Development Goals andererseits, dürfen nicht getrennt werden. Stattdessen sind die Synergien daraus wahrzunehmen.
  • Nur eine strategisch weitsichtige, holistisch begründete Gesamtsicht mit einer zeitlich eng geplanter Abfolge intelligent konzipierter Weichenstellungen sichert letztendlich die Attraktivität des Schweizer Finanzplatzes. Sie muss alle Sektoren einbinden, denn im Wettbewerb mit der EU und anderen internationalen Finanzplätzen spielt das Ansehen der Schweiz und ihres Finanzplatzes ein zunehmend wichtigere Rolle. Angesichts der weltweiten Nachfrage nach Sustainable Finance können sich zukünftig Reputationsschäden einstellen, welche die heute hoch geschätzte Finanzkompetenz der Dienstleistungen der Finanzakteure in negativem Sinne aufwiegt. Es ist ein regulatorischer Ansatz zu ergreifen, der den voraussehbaren Rückstand in einen Vorteil umkehrt, indem die Potentiale bei der Meisterung der dringenden klima- und nachhaltigkeitsbedingten Herausforderungen umfassend realisiert werden.