«Wir müssen unsere Hoftüren öffnen»

Marlen Koch führt mit ihrem Mann Stephan den Bergbauernhof Obermettlen im luzernischen Root. Zusammen verwirklichen sie dort ihre Vision einer nachhaltigen und solidarischen Landwirtschaft, die respektvoll mit Natur, Tier und Mensch umgeht. Herzstück des Betriebs: Die Herbstzeitlosen-Herde, in der fünf alte Mutterkühe eine zweite Chance erhalten haben. Mit diesem Projekt sind sie für den Prix Climat, einer Preisverleihung der Klima-Allianz für innovative und klimafreundliche Landwirt:innen, nominiert.

 

Marlen, was ist dein Verständnis von Landwirtschaft?

Als Landwirte bewirtschaften wir das Land, um daraus hochwertige, gesunde Lebensmittel zu gewinnen. Das ist für mich einer der wichtigsten Berufe überhaupt, denn wir alle müssen essen, um zu überleben. Entsprechend haben wir eine grosse Verantwortung gegenüber der Natur, den Tieren und den Menschen sowie der nächsten Generation.

Du und Stephan habt euch mit eurem Projekt «Herbstzeitlose» für den Prix Climat beworben – Was war die Motivation?

Wir wollen uns für standortgerechte Fleischproduktion engagieren und für bewussten Fleischkonsum sensibilisieren. Die Nutztierproduktion hat eine hohe Klimarelevanz und wird sich künftig verändern müssen. Die Debatte muss jedoch differenziert geführt werden. Eine Kuh, die sich ausschliesslich von Grasland ernährt auf Flächen, die für den Ackerbau nicht geeignet sind, leistet einen wichtigen Beitrag für die Welternährung. 

Wir wollen sichtbar machen, dass es nachhaltige Landwirtschaft bereits gibt. Denn der Wandel in der Politik und in der Gesellschaft geht für uns zu langsam. Er wird von bewahrenden Kräften, die vom bisherigen System profitieren, zu stark gebremst. Wir Konsument:innen und Produzent:innen gemeinsam haben aber eine grosse Macht, etwas zu bewegen. Wir möchten den Menschen aufzeigen, dass sie bereits heute mit ihrem Griff ins Verkaufsregal ein Teil des Wandels sein können. Denn wir Bäuer:innen können nur produzieren, was von Konsument:innen auch nachgefragt wird.

Wie funktioniert euer Projekt «Herbstzeitlose» und was ist die Idee dahinter?

Unser Hof besteht aus Wiesen und Weiden in Hanglage, auf denen wir keinen Ackerbau betreiben und somit keine Lebensmittel für den direkten Konsum durch die Menschen herstellen können. Wir brauchen also die Wiederkäuer, um das Gras in wertvolles Protein für den menschlichen Verzehr umzuwandeln. Wenn wir die Tiere für unsere Zwecke nutzen, war es uns aber wichtig, dies respektvoll, artgerecht und nachhaltig zu tun – Und dass die wertvollen Lebensmittel, die daraus entstehen, von den Konsument:innen auch wertgeschätzt werden.  

Die Basis des Projekts bilden fünf alte Mutterkühe der ProSpecieRara-Rasse Rätisches Grauvieh, die eigentlich geschlachtet werden sollten. Sie sind unsere Herbstzeitlosen und erhalten auf der Obermettlen eine zweite Chance. Jedes Kalb, das sie gebären, erhält acht Pat:innen. Diese bezahlen je zwei Jahre lang einen Franken pro Tag. An Bauernhoftagen können sie aktiv auf dem Hof mitarbeiten und so einen Einblick erhalten, was hinter einem Bissen Fleisch steckt. Nach zwei Jahren schliesst sich der Lebenskreislauf unserer Tiere durch die Hoftötung. Und so wird aus ihnen wertvolles Rindfleisch, von dem die Pat:innen ihren Anteil erhalten. Dadurch sensibilisieren wir für bewussten Fleischkonsum.

Ihr macht auf eurem Hof die Konsument:innen zu (Mit-)Bäuer:innen. Weshalb ist für dich der Einbezug der Konsument:innen in der Landwirtschaft so wichtig?

Wie sollen die Konsument:innen heute den wahren Wert eines Produktes erkennen, wenn sie die Landwirtschaft nur aus den Werbekampagnen der Lebensmittelindustrie kennen und von einer Fleischaktion nach der anderen in die Läden gelockt werden? Wenn wir den Nahrungsmitteln ihren wahren Wert zurückgeben wollen, müssen wir unsere Hoftüren öffnen und den Konsument:innen die Möglichkeit geben mitzuerleben, wie sie entstehen.

Was ist das bisher beeindruckendste Erlebnis aus deinem Bäuerinnen-Alltag?

Am tiefsten berührt hat mich die Hoftötung, für die wir hart gekämpft haben. Wir begleiten unsere Tiere vom ersten bis zum letzten Atemzug. Beide machen sie auf unserem Hof, in ihrer vertrauten Umgebung, ohne Stress und Angst. Die Hoftötung ist sehr würdevoll, ein Moment voller Ehrfurcht und Dankbarkeit. Das hat mich und meinen Bezug zu Fleisch komplett verändert. Fleisch ist für mich zum wertvollsten Lebensmittel überhaupt geworden. Wir essen weniger, viel bewusster und fast nur noch das eigene Fleisch.

Was möchtest du noch erreichen?

Wir haben uns mit unserem kleinen Hof, den Events und unserem Herbstzeitlosen-Projekt unseren Lebenstraum aufgebaut. Nun wünsche ich mir, dass wir diesen lange geniessen, viele Menschen damit berühren und weitere Bäuer:innen ermutigen können, ihren eigenen Weg zu gehen. Dann bin ich zufrieden. Aber natürlich wird es uns an weiteren verrückten Ideen nicht mangeln!